Wissensdrang - Der Uroletter von APOGEPHA
URO-ONKOLOGIE
Populationsspezifisches PSA-Wert-Screening – Quo vadis
Wir erinnern uns: am 17. Dezember 2020 – fast genau vor zwei Jahren – hatte der
G-BA gegen ein gesetzliches „Prostatakrebs-Screening“ mittels PSA-Wert-Bestimmung entschieden. Keine Änderung der Krebsfrüherkennungs-Richtlinie, heißt kein PSA-Test im Rahmen der individuellen Früherkennung, und damit auch keine Kassenleistung. Am Ende, so auch die Deutsche Gesellschaft für Urologie, war das ein Rückschlag in der Prostatakrebs-Früherkennung. Wir berichteten darüber in „Wissensdrang 05/2021“.
Seither hat sich sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf politischer Ebene einiges getan. Neue Studienergebnisse stützen einmal mehr die schon vorhandene Evidenz und schließlich kommen nun auch von europäischer Ebene Empfehlungen zur Prostatakrebsfrüherkennung mittels PSA-Test.
ERSPC und PLCO: Wiederholte PSA-Tests reduzieren möglicherweise die PCa-bedingte Sterblichkeitsrate
In den 1990-er Jahren wurde in den zwei großen Studien, ERSPC und PLCO, der Effekt der PCA-Früherkennung mittels PSA-Wert Bestimmung auf die Prostatakrebs-bedingte Mortalität untersucht. Die in den USA durchgeführte PLCO1 zeigte keinen Effekt, wurde jedoch im Nachgang wegen fehlerhafter Auswertung kritisiert. Eine nachträgliche Analyse der Daten2 zeigte, dass auch bei über 90 % der Patienten in der Kontrollgruppe PSA-Wertbestimmungen durchgeführt worden waren, was die Aussagekraft der Studie maßgeblich reduziert. Dagegen konnte in der weltweit größten, europäischen ERSPC-Studie3 nach 13 Jahren Follow-Up eine 21-prozentig geringere PCa-bedingte Mortalität durch PSA-Screening nachgewiesen werden. Die Follow-Up Analyse nach 16 Jahren bestätigte diese Daten und konnte zeigen, dass der absolute Effekt mit längerem Follow-Up sogar noch stieg4.

In der 2019 veröffentlichten finnischen Gruppenanalyse der ERSPC5 wurde bei Männern, die zwei- bis dreimal am PSA-Screening teilnahmen, eine Reduktion der PCa-bedingten Mortalität um 52 % bzw. 83 % gezeigt. Bei Männern, die kein- oder einmal beim Screening waren, war die PCa-bedingte Mortalität sogar höher (HR 1,58/1,68) als in der Vergleichsgruppe.

Die Forscher gehen davon aus, dass etwa die Hälfte der Reduktion der prostatakrebsbedingten Mortalität in der Gruppe mit wiederholten PSA-Tests wahrscheinlich nicht kausal bedingt ist. Ein echter Screeningeffekt könnte dagegen bei Männern mit drei Screeningrunden für eine Reduktion der Mortalität um bis zu 40 % verantwortlich sein. An der finnischen Studie hatten 31.867 Männer teilgenommen, der Kontrollarm umfasste 48.282 Männer. Die Nachbeobachtung erfolgte bis Ende 2013. Fazit: Eine Reduktion der prostatakrebsbedingten Mortalität kann nur durch wiederholtes Screening erreicht werden.
PROBASE: Studie zur PCA-Früherkennung basierend auf den PSA-Baseline-Werten junger Männer
Die Analyse der ersten Screeningrunde der deutschen PROBASE-Studie wurde im Januar dieses Jahres veröffentlicht6. Ziel der Studie ist es, die Spezifität des PSA-basierten PCA-Screenings zu verbessern, aber eben unter Beibehaltung der Sensitivität für eine frühe Risikoerkennung.

In der größten risikoadaptierten PCA-Screening-Studie wurden zwischen 2014 und 2019 46.642 Männer rekrutiert und nach PSA-Werten in drei Gruppen kategorisiert –
in low-risk (< 1,5 ng/ml), intermediate-risk (1,5-2,99 ng/ml) oder high-risk (> 3 ng/ml) Patienten. Bei wiederholt hohem PSA-Wert erhielten die Teilnehmer eine Biopsie-Empfehlung mit mpMRT und Biopsie.

Bei der Hälfte der Männer wurde ein PSA-Screening mit 45 Jahren durchgeführt, die andere Hälfte erhielt im Alter von 45 Jahren eine DRU mit einer hinausgezögerten PSA-Bestimmung fünf Jahre später. In der Gruppe mit dem früheren PSA-Screening wurden 48 PCa diagnostiziert (0,2 %), davon 4 ISUP ≥ 3. Die Untersuchungen mittels DRU ergaben 2 PCa-Diagnosen (0,03 %). Dieser geringe Vorhersagewert disqualifiziert nach Meinung der Autoren die DRU als Screeningmethode für junge Männer.

Mehr zu den aktuellen Ergebnissen der PROBASE-Studie hier.

Auf Grundlage der Ergebnisse der PROBASE-Studie will der G-BA nach erneuter Prüfung über eine gesetzlich finanzierte PSA-Wertbestimmung im Rahmen der PCa-Vorsorge entscheiden, allerdings erwartet er erst in „vielen Jahren“ die erforderliche Evidenz7.

San Diego, 2022: Ergebnisse einer Studie mit US-Veteranen
Der Zusammenhang zwischen regelmäßigem PSA-Screening und dem Auftreten von metastasierten Prostatatumoren wurde erneut in einer retrospektiven Studie mit US-Veteranen über 10 Jahre untersucht. Die im Oktober 2022 veröffentlichten Daten einer Arbeitsgruppe aus San Diego bestätigen: Geringere Prostata-Screening-Raten sind mit einer höheren Inzidenz von metastasiertem Prostatakrebs assoziiert8.

Zwischen den Jahren 2005 (n = 4.678.412 Männer) und 2019 (n = 5.371.701 Männer) wurden Patienten von 128 Einrichtungen der US Veterans Health Administration untersucht.

Die PSA-Screeningraten sanken im Beobachtungszeitraum von 47,2 % auf 37,0 %. Gleichzeitig stieg die Inzidenz von metastasiertem Prostatakrebs pro 100.000 von 5,2 im Jahr 2005 auf 7,9 im Jahr 2019.

Nach Aussage der Studienautoren könnte dies auch auf die Empfehlungen der U.S. Preventive Services Task Force zurückzuführen sein, die seit 2012 das PSA-basierte Screening auf Prostatakrebs bei erwachsenen Männern nicht mehr empfiehlt9.
EU-Krebsplan und Modernisierungsempfehlung zur Krebsfrüherkennung
Mit ihrer Modernisierungsempfehlung zur Krebsfrüherkennung will die EU-Kommission die Mitgliedstaaten dabei unterstützen die Zahl der Krebsscreenings zu erhöhen. Der Schwerpunkt der vorgeschlagenen Empfehlungen liegt auf der Krebsfrüherkennung. Das Ziel ist es, sowohl die Zahl der Screenings zu erhöhen als auch mehr Zielgruppen anzusprechen und mehr Krebsarten einzubeziehen.

Grundlage und Anlass für den Vorstoß ist nach Aussage der EU-Kommission der neueste Stand der wissenschaftlichen Entwicklung und Evidenz. Neben Brust-, Gebärmutterhals- und Darmkrebs-Screenings werden mit der neuen Empfehlung zudem populationsbezogene systematische Krebsscreenings auf Lungen-, Prostata- und unter bestimmten Umständen auch auf Magenkrebs ausgeweitet.

Diese Vorschläge der Kommission wurden am 9. Dezember 2022 vom Rat der Europäischen Kommission nach Prüfung angenommen.

Für das systematische Krebsscreening bei Prostatakrebs lautet die Empfehlung:

„Unter Berücksichtigung der vorläufigen Evidenz und des beträchtlichen Maßes an opportunistischem Screening sollten die Länder einen stufenweisen Ansatz in Erwägung ziehen, der Pilotprojekte und weitere Forschungsarbeiten umfasst, um die Durchführbarkeit und Wirksamkeit systematischer Programme mit dem Ziel der Gewährleistung einer angemessenen Steuerung und Qualität auf der Grundlage von Untersuchungen auf das prostataspezifische Antigen (PSA) bei Männern in Kombination mit ergänzender Magnetresonanztomografie (MRT) als Folgeuntersuchung zu evaluieren.“10

Es bleibt abzuwarten, in welchem Maße diese Empfehlung die Entwicklung der Prostatakrebsfrüherkennung in Deutschland befördert.

Wie eingangs erläutert, hatte der G-BA den Nutzen der alleinigen Anwendung von PSA-Tests als Früherkennungsuntersuchung von gesunden Männern Ende 2020 negativ bewertet und das Schadenspotenzial – hohe Anzahl von falsch-positiven Ergebnissen und Überdiagnosen – höher gewichtet als den Nutzen. In einer Pressemeldung des G-BA wurde die Empfehlung des EU-Rates am 9. Dezember nun wie folgt kommentiert: „Künftig wird zu prüfen sein, inwieweit die Kombination aus PSA-Test und weiteren diagnostischen Verfahren die Früherkennung des Prostatakarzinoms verbessern kann.“
© Deutsche Gesellschaft für Mann und Gesundheit e.V. / 10-2019
Quelle: DKFZ, Stiftung Deutsche Krebshilfe. DKG, destatis, Robert-Koch-Instritut
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Quellen:
1 Andriole G. L. et al, N Engl J Med 2009; 360:1310-1319. Doi: 10.1056/NEJMoa0810696, (Stand: 09.12.2022).
2 Shoag J. E. et al., N Engl J Med 2016; 5(37):1795-1796. doi: 10.1056/NEJMc1515131, (Stand: 09.12.2022).
3 Schröder, F. H. et al., Lancet 2014; 384(9959):2027-2035. doi:https://doi.org/10.1016/S0140-6736(14)60525-0, (Stand: 09.12.2022).
4 Hugosson J. et al., Eur Urol 2019; 76(1):43-51.
5 Pakarainen T. et al., Clin Cancer Res 2019; 25(2):839-843. doi: 10.1158/1078-0432.CCR-18-1807.
6 Arsov C. et al., Int J Cancer 2022; 150(11):1861-1869.
7 GBA (2020): Krebsfrüherkennungs-Richtlinie: Bewertung des Prostatakrebs-Screenings mittels Bestimmung des PSA, in: https://www.g-ba.de/beschluesse/4618/, (Stand: 09.12.2022).
8 Bryant A. K. et al., JAMA Oncol 2022; ePub. doi:10.1001/jamaoncol.2022.4319
9 Moyer V. A. et al; Clinical Guidelines in Ann Intern Med 2012; 157:120-134.doi: https://doi.org/10.7326/0003-4819-157-2-201207170-00459
10 Rat der Europäischen Union (2022), in: https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-14770-2022-INIT/de/pdf, (Stand: 12.12.2022).
11 G-BA (2022), in: https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/1085/, (Stand: 12.12.2022).

Veröffentlicht: 15.12.2022, 7:10 Uhr
von
Dr. Kerstin Ahrens
Medizinische Fachreferentin
Steffi Liebig
Gesundheitspolitik
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