Wissensdrang - Der Uroletter von APOGEPHA
Rechtliches
Juristische Fallstricke – Fatale Folgen eines „schlechten Zuhörens“
Seit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes können die Krankenkassen die Versicherten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen nicht nur unterstützen, sie sollen es sogar (§ 66 SGB V).

Im Jahr 2020 wurden vom Medizinischen Dienst 14.000 Behandlungsfehlergutachten in Auftrag gegeben. Bei 25 % der Gutachten wurde ein Behandlungsfehler erkannt1.

Ein Beispiel dafür aus unserem Fachgebiet:
Unterlassene Befunderhebung
Bei einem 83-Jährigen erfolgte vor vier Monaten eine ureterorenoskopische Steinentfernung mit konsekutiver Doppel-J-Einlage. Zur Diagnostik des Steines wurde eine Kontrastmittel-Computertomographie durchgeführt, die den Verdacht auf eine eingeblutete Nierenzyste erbrachte. Damit wurde ein retrogrades Ureteropyelogramm als indiziert angesehen, was einen Normalbefund erbrachte – ein Doppel-J-Katheter wurde nicht wieder eingelegt.

Der Patient entwickelte in Folge einen Harnverhalt. Er bekam einen Dauerkatheter bei einem Restharn von 900 ml.

In der neuerlichen Computertomographie heißt es: „immer noch kontrastanreichernde Wandverdickungen, die tumorverdächtig sind“ […] „Verdacht auf Tumor im kollabierten Zystenrest mit möglicher Infiltration des Hohlsystems“. Das Aufklärungsgespräch zur Entfernung des vermuteten Nierentumors mit dem Patienten im Beisein der Familie ergab, dass „eine operative Therapie ausdrücklich nicht erwünscht“ war. Das hier fast Bedrängen des Patienten zur Operation ist gutachterlich kritisch gewertet worden, da der Patient vor zwei Jahren einen Basalganglieninfarkt mit konsekutiver Hemiparese links durchgemacht hat und vor zwei Monaten bei Aufnahme in der Geriatrie „keine Orientierung zu Ort, Zeit und Situation“ dokumentiert wurde. „Sitzen, gehen, stehen war nicht möglich und das Instruktionsverständnis war deutlich eingeschränkt“.

Wichtig für den Fall, die folgende Aussage der Tochter im Protokoll: „nachdem er direkt nach der Operation“ – hier die retrograde Ureteropyelographie – „normal wie vorher reden konnte, hatte er ein paar Stunden später eine verwaschene Stimme“ […] „es gab nur Achselzucken seitens der Pflege“ […] „die Ärzte sagten nur, er wird morgen entlassen“.

Die Entlassung zögerte sich hinaus und erst fünf Tage, nachdem die Tochter wiederholt intervenierte, wurde eine craniale Computertomographie durchgeführt, die eine „linksseitige Stammganglienblutung“ nachwies. Der Patient wurde damit jetzt erst in eine stroke unit verlegt. Er entwickelte eine rechtsbetonte Plegie zu seiner schon linksseitigen Hemiplegie. Zitat aus dem Protokoll: „die Ärzte haben die von uns erwähnten Symptome nicht ernst genommen“ […] “sprachen nur aus urologischer Sicht, da sei alles in Ordnung und wollten ihn schnell entlassen“.
Das Urteil des Gerichtes
Gerichtlich führte dies zu einer Beweislastumkehr2, weil diese unterlassene Befunderhebung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einem reaktionspflichtigen Befund geführt hätte und sich die Verkennung des Befundes als fundamental darstellte. Das Verhalten der Ärzte wurde auf Basis dieses Ergebnisses als grob fehlerhaft bewertet.
Rechtlicher Kommentar zur Beweislastumkehr
von RA Dr. Oliver Pramann, Fachanwalt für Medizinrecht, Hannover
Rechtlich ist dies deswegen besonders, weil normalerweise der Patient insbesondere sowohl den Behandlungsfehler als auch die Ursächlichkeit des Fehlers zum Schaden beweisen muss. Wenn aber ein "grober Befunderhebungsfehler" vorliegt, kann das – wie hier – dazu führen, dass jetzt der Behandelnde beweisen muss, dass der Schaden nicht auf den Fehler zurückzuführen ist oder dieser Zusammenhang zumindest äußerst unwahrscheinlich ist. In der Praxis ist dieser Beweis für die Behandlerseite in der Regel nur sehr schwer zu erbringen. Wie immer ist die sorgfältige Dokumentation wichtig, damit der Behandelnde ggf. darlegen und beweisen kann, dass die notwendigen Befunde erhoben wurden."
Der Autor
Prof. Dr. med. Thomas Enzmann, Chefarzt der Klinik für Urologie und Kinderurologie am Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel
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Literatur:
1 Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen
2 Pramann, O. (2018): Patientenrechte und Arzthaftung. Kohlhammer

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