Wissensdrang - Der Uroletter von APOGEPHA
RECHTLICHES
Die Hodentorsion – manchmal nach "Nebelkerzen" schwierig zu diagnostizieren!
Der Fall
Ein 13-Jähriger stellt sich mit seit dem Vorabend rechtsseitig betonten Unterbauchschmerzen, langsam zunehmend und Ausstrahlung in den rechten Unterbauch – vor allem während der Mobilisierung – 16 Uhr in der Rettungsstelle eines Akutkrankenhauses ohne urologische Abteilung vor.
Die untersuchende Ärztin dokumentiert eine „dezente Druckdolenz am oberen Pol des rechten Hodens“. Die Leukozyten im Blut sind normwertig, der Urinbefund unauffällig, der Junge hat kein Fieber. Es wird eine orientierende Ultraschalluntersuchung des Abdomens zum Ausschluss einer Appendizitis durchgeführt. Die hinzugezogene Fachärztin für Chirurgie sieht keine Indikation zur chirurgischen Intervention und empfiehlt eine zeitnahe urologische Vorstellung zum Ausschluss einer Torsion des rechten Hodens – ein Bericht aller Untersuchungsbefunde wird den Eltern ausgehändigt.

18 Uhr suchen die Eltern eine Maximalversorgungsklinik mit einer urologischen Abteilung auf – 19 Uhr erfolgt der Arzt-Patienten-Kontakt: erneut Anamnese sowie körperliche Untersuchung: „rechtsseitig leicht geschwollener Hoden – keine Rötung“. Es erfolgt eine farbkodierte Dopplersonografie, die von den Radiologen durchgeführt wird. Laut Arztbrief stand der endgültige schriftliche Untersuchungsbefund zum Entlassungszeitpunkt aus. Laut mündlichem Befund wären in der Farbdopplersonographie Zeichen einer Epididymitis rechts darstellbar, begründet mit einer Hyperperfusion des rechten Nebenhodens und regelrechter Durchblutung des Hodens. Der Urologe empfiehlt eine Antibiose mit Cefuroxim für sieben Tage und supportiv eine Kühlung und Hochlagerung des Hodens.

Drei Tage später, die Beschwerden sind nicht besser, suchen die Eltern mit ihrem Jungen eine ambulante Praxis für Urologie auf, die den Verdacht auf eine Hodentorsion stellen: „ein stark vergrößerter hyperperfundierter Nebenhoden, aber auch keine Durchblutung im rechten Hoden“ und ihn umgehend einweisen.

Am selben Tag erfolgt die Vorstellung in einem anderen Maximalversorgungshaus, die in der farbkodierten Dopplersonographie eine „uneindeutige Befundlage und den Verdacht einer alten Hodentorsion“ stellen und die operative Hodenfreilegung durchführen. Dabei zeigt sich eine zweifache Torsion des Hodens. Nach Dequortierung und Beobachtung für 10 Minuten war der Hoden weiter avital und nicht durchblutet – es wird die Orchieektomie vorgenommen und eine Hodenpexie der Gegenseite prophylaktisch durchgeführt. Die Entlassung erfolgt bei blanden Wundverhältnissen, ohne nennenswerte Schmerz- oder Infektsymptomatik bei gutem Allgemeinzustand in die Häuslichkeit. Der histopathologische Untersuchungsbefund des ablatierten Hodens: „Nachweis eines hämorrhagischen Infarktes von Hoden und Nebenhoden, gut einer Torsion zuzuordnen“.
Das Gericht
In der gerichtlichen Auseinandersetzung ging es um die Frage, ob der Urologe einen Befund des Radiologen überprüfen muss oder ob alleinig ein Radiologe eine farbkodierte Hodensonographie bewerten kann. Mein Vortrag stellte auf die Komplexität dieser Untersuchung ab: Die farbkodierte Dopplersonographie spielt eine entscheidende Rolle in der Diagnostik und Differenzialdiagnostik des akuten Skrotums. Entscheidend bei der Diagnostik einer pathologischen Hodendurchblutung ist die seitenvergleichende Untersuchung. Um eine exakte Aussage über die Durchblutungssituation des Hodenparenchyms treffen zu können, sollte eine differenzierte Abbildung der arteriellen bzw. venösen Flusssignale mittels farbkodierter Dopplersonographie erfolgen. Bedeutsam ist die Beurteilung zentraler Gefäße im Hodenparenchym.
Im konkreten Fall wurden die Flüsse der Venen im Hoden seitenvergleichend nicht dokumentiert. Bei einer Hodentorsion „drehen“ die venösen Gefäße zuerst „ab“ – es kommt zum Stau – der arterielle Einstrom erfolgt noch und kommt später zum „erliegen“ – somit können bei einer partiellen Torsion in der Frühphase Signale im Hodenparenchym abgeleitet werden, was die Diagnose erschwert.
Farbduplexsonographie rechter Hoden: hier arterielle „Aktionen“ nachweisbar (Pfeile), jedoch sind auch in den anderen Bildern keine venösen Signale abgeleitet
Fazit des Falls
Ultraschallbilder können helfen. Hier, so könnte man sagen, wurde der Urologe aber vom Radiologen auf die falsche „Fährte“ gesetzt. Allerdings exkulpiert dies den Urologen nicht – die „rübergereichte“ Verdachtsdiagnose Epididymitis wurde von der Klinik eigentlich nicht gestützt: kein Fieber, keine Dysurie, keine erhöhten Entzündungsparameter und kein pathologischer Urinbefund – muss es da nicht „klingeln“!? … oder wie bewerten Sie das?
Kommentar RA Dr. Oliver Pramann
Der Autor
Prof. Dr. med. Thomas Enzmann,
Klinik für Urologie und Kinderurologie am Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel
Der Koautor und Jurist
Dr. Oliver Pramann,
Fachanwalt für Medizinrecht,
Hannover
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Quelle:
1 Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.05.2020, VI ZR 213/19.

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